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Neues Sucher-System Evil Böse Kameras bedrohen die Spiegelreflex

Ein neues Kamerakonzept könnte das Ende digitaler Spiegelreflexkameras einläuten. Systeme mit elektronischem Sucher wurden lange von Ingenieuren diskutiert – auf der Photokina in Köln werden die ersten serienreifen Modelle zu sehen sein. Noch in diesem Jahr wird man sie kaufen können.
Von Matthias Landau

Die Erfolgsgeschichte der digitalen Spiegelreflexkameras ist kurz: Seit etwa zehn Jahren gibt es brauchbare Modelle, seit etwa vier Jahren sind sie für den Massenmarkt bezahlbar geworden und werden in großen Stückzahlen abgesetzt. Aber bald schon könnte es endgültig vorbei sein mit dem Spiegel-System – Evil-Kameras ("Electronic Viewfinder, Interchangable Lens", übersetzt etwa Elektronischer Sucher, auswechselbares Objektiv) könnten sie ablösen.

Ob der Schwingspiegel in Kameras ein Auslaufmodell ist, wird unter Fotoingenieuren schon lange diskutiert. Denn im Prinzip ist die digitale Spiegelreflexkamera genauso konstruiert wie ihre analogen Vorläufer vor 50 Jahren: Im Strahlengang zwischen Objektiv und Sensor, der heute den Film ersetzt, sitzt ein Schwingspiegel, der das Licht auf eine Mattscheibe lenkt. Diese kann durch den Sucher betrachtet werden – so sieht der Fotograf, was er gleich fotografieren wird. Im Moment des Auslösens klappt der Spiegel hoch und gibt das Licht frei, das durch den Verschluss dann auf den Sensor gelangt.

Diese Spiegelkonstruktion war für die Fotografie auf Film eine schöne Sache, doch in der Digitalfotografie bringt der Spiegel dem Fotografen eine ganze Reihe von Nachteilen gegenüber kleinen Kompaktkameras: Im Strahlengang stehend, verhindert er ein Live-Bild auf dem Display, so dass man erst nach dem Auslösen das Bild sieht.

Auch Videoaufnahmen sind mit heruntergeklapptem Spiegel nicht möglich. Bisherige Lösungsansätze mit vorzeitig hochgeklapptem Spiegel sind unbefriedigend. Dazu kommt, dass der Spiegel Platz braucht und beim Hochklappen die ganze Kamera in Schwingungen versetzen kann, was bei bestimmten Belichtungszeiten zum Verwackeln führt.

Evil: Synthese der Vorteile zweier Kamera-Welten

Panasonic zeigt nun auf der Messe eine erste Evil-Kamera. Im Prinzip verbinden diese Kameras die Vorteile der Spiegelreflex- mit denen der Kompaktkameras. Das Licht fällt direkt auf den Sensor, der ständig ein Sucherbild elektronisch weiterleitet. Entweder auf das rückwärtige Kameradisplay, oder aber in einen sogenannten elektronischen Sucher, der neben dem Bild auch Daten über Blende und Belichtungszeit, oder einen Weißabgleich anzeigen kann.

Die neue Kamera von Panasonic heißt Lumix G1 und soll mit einem Nachteil der elektronischen Sucher, wie sie zum Teil bereits in Kompaktkameras eingesetzt werden, Schluss machen: Das Sucher-Bild ist mit insgesamt 480.000 Pixeln mehr als doppelt so hoch aufgelöst wie bisher bekannte Bild-Vorschauen. Der Blick durch den Sucher ist tatsächlich beeindruckend, reicht aber an einen optischen Sucher in einer Spiegelreflex nicht heran.

Evil braucht neue Objektive - oder Adapter

Die Lumix G1 hat einen Sensor im FourThirds-Format. Sensoren in dieser Größe werden üblicher Weise in den Spiegelreflexmodellen von Panasonic, Olympus und teilweise auch von Leica verbaut. Erwarten kann man wohl eine ähnliche Bildqualität. Mit zwölf Megapixeln ist die Auflösung mehr als ausreichend. Die Objektive sind wie bei einer Spiegelreflexkamera wechselbar. Da die Kamera auf dem so genannten Micro-FourThirds-Standard basiert, sind Objektive der genannten Kameramarken untereinander austauschbar. Ältere Objektive, die für die FourThirds-Spiegelreflexkameras gebaut wurden, sind mit einem Adapter ansetzbar.

Sinnvoll ist das aber nur in Ausnahmefällen, denn der Reiz so einer Evil-Kamera liegt auch in den knappen Abmessungen und im geringen Gewicht. Da der Spiegelkasten entfällt, ist nicht nur die gesamte Kamera kleiner, sondern auch das Auflagenmaß (Abstand zwischen Objektiv und Sensor, siehe Bildergalerie oben) konnte halbiert werden. Dadurch lassen sich kleinere Objektive konstruieren. Bei den bisher lieferbaren handelt es sich um ein Standard- und ein Telezoom, weitere Objektive werden nächstes Jahr folgen.

Auch Olympus wird Evil anbieten

Man kann davon ausgehen, dass der Miterfinder des Micro FourThirds-Standards Olympus in den nächsten Tagen ebenfalls eine Evil-Kamera vorstellen wird. Von dieser Seite wird es wohl auch Objektive geben, die zu Panasonic kompatibel sein werden. Sollte aber Olympus bei seiner bisherigen Strategie bleiben, wird die Bildstabilisierung in der Olympus-Evil-Kamera ins Gehäuse integriert. Bei der Lumix G1 gibt es nur eine optische Stabilisierung, wenn die Objektive – wie die beiden jetzt vorgestellten – entsprechend ausgerüstet sind.

Das Evil-Konzept ist nicht auf die bisher vorgestellte Sensor-Größe beschränkt, sondern funktioniert auch mit größeren Sensoren, so dass Evil-Kameras in jeder Form und von verschiedenen Herstellern zu erwarten sind. Das koreanische Unternehmen Samsung fertigt bisher gemeinsam mit Pentax Spiegelreflexkameras, hat sich aber bereits zur Produktion von Evil-Kameras mit größerem Sensor geäußert. Konkrete Produkte dürften aber frühestens nächstes Jahr erhältlich sein.

Für wen ist das sinnvoll?

Wer sonst mit einer Kompaktkamera fotografiert, wird sich fragen, wozu er eine deutlich teurere Evil-Kamera (die Lumix G1 wird mit einem Objektiv rund 750 Euro kosten) kaufen sollte. Aber die Vorteile sind zahlreich und entsprechen denen, die auch Spiegelreflexkameras aufweisen: Wechselbare Objektive und Blitzgeräte bieten für jede Herausforderung die optimale technische Entsprechung und große Sensoren liefern eine deutlich bessere Bildqualität.

Letztlich hängt der Erfolg des Evil-Konzepts und damit das Weiterleben der klassischen Spiegelreflexkamera von der Qualität der elektronischen Sucher ab. Denn solange der optische Sucher ein besseres Bild zur Beurteilung des Ausschnitts und des Motivs gibt, werden viele anspruchsvolle Fotografen nicht umsteigen wollen.

Für diese Zielgruppe sind solche hochwertigen, mit wechselbaren Objektiven ausgestatten Kameras aber gemacht. Mit dem jetzigen Modell hat Panasonic auf jeden Fall schon mal einen wichtigen Markstein gesetzt – auch wenn das System noch nicht richtig ausgereizt wurde. Eine Videofunktion hat das Unternehmen Panasonic, das unter anderem mit Camcordern sein Geld verdient, schlichtweg vergessen.