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Bei Schlecker kostet ab jetzt alles 20 Cent

Schlecker-Markt Schlecker-Markt
Nach Rabatten über 90 Prozent ist kaum noch Ware in den Schlecker-Geschäften. Doch auch die übrig gebliebenen Produkte sollen den Gläubigern wenigstens ein bisschen Geld bringen. S...ie werden gesammelt und weiterverkauft, etwa an Ein-Euro-Läden. Auch die Regale sollen noch veräußert werden
Quelle: DPA
An diesem Mittwoch um 15 Uhr werden alle Schlecker-Filialen dichtgemacht. Während die Mitarbeiter um ihre Zukunft bangen, wird hinter den Kulissen die Firma abgewickelt.

In der Schlecker-Filiale in der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg sind die Regale komplett leer geräumt – schon einen Tag vor der offiziellen Schließung.

Am Montag war der Laden gestürmt worden von Schnäppchenjägern, erzählen die Verkäuferinnen. "Wir mussten die Polizei rufen, weil das Gedränge so groß war", sagt Astrid Mohr, 56, seit zwölf Jahren bei der Drogeriekette.

Was übrig ist, steht jetzt neben der Kasse: Katzenstreu, Staubsaugerbeutel. WM-Alben von 2006, Fliegenklatschen, alles 90 Prozent herabgesetzt, ab Mittwoch kostet jedes Teil noch 20 Cent.

Was auch mit diesem Mega-Rabatt nicht verkauft wird, wandert zum Verwerter oder in den Müll. Noch immer kommen Kunden, halten einen Plausch, sie wünschen Mohr und ihrer Kollegin Glück.

Aufgekratzte Stimmung

Die Stimmung bei Astrid Mohr und ihren zwei Kolleginnen ist aufgekratzt, sie machen Witze, aber sie sind auch traurig. "Das tut schon in der Seele weh", sagt Mohr. Wütend ist sie auch – und zwar auf alle Beteiligten: Die Schleckers sowieso, die Politik, die nicht geholfen hat, und selbst Ver.di kommt nicht gut weg. Die Gewerkschaft hat ihren Kampf für finanzielle Unterstützung verloren.

"Morgen machen wir nicht mehr auf, es ist ja nichts mehr da", sagt Mohr. Am Mittwoch werden die bundesweit übrig gebliebenen 2800 Schlecker-Märkte im Zuge der Betriebsstilllegung des Konzerns um 15.00 Uhr geschlossen. Spätestens.

Wie viele der Läden mangels Ware schon nicht mehr öffnen, konnte ein Vertreter des Insolvenzverwalters nicht sagen. Es fehle an der entsprechenden IT bei Schlecker, erklärte er.

Vorhang fällt endgültig

Damit fällt nun endgültig der Vorhang bei Schlecker, aus Europas größter Drogeriemarktkette wurde eine Pleitefirma in Abwicklung. Die Geschichte des Familienunternehmens aus dem schwäbischen Ehingen ist jäh beendet, die blau-weißen Schilder werden aus den Städten verschwinden.

Nach einer monatelangen Zitterpartie haben nun alle rund 20.000 Mitarbeiter eine traurige Gewissheit: Sie verlieren ihren Arbeitsplatz. Während für die Mitarbeiter jetzt ein neues, schwieriges Kapitel beginnt, wickeln der Insolvenzverwalter, die Gläubiger und Ver.di das Unternehmen hinter den Kulissen ab.

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Arndt Geiwitz, seit Ende Januar als Insolvenzverwalter praktisch Chef im Hause Schlecker, "muss mögliche Forderungen sammeln, prüfen und die Vermögenswerte in bares Geld umsetzen. Diese Insolvenzmasse wird später unter den Gläubigern aufgeteilt.

Das dürfte bei einem Verfahren dieser Größe mehrere Jahre dauern", sagt Sanierungsexperte Detlef Specovius. Der Jurist kennt die Situation aus der Arbeit bei vielen insolventen Unternehmen. Wenn der Verwalter genug Geld in die Masse-Kasse bringt, reicht es vielleicht für einen mageren Sozialplan oder Interessenausgleich für die Mitarbeiter.

Wenig Hoffnung auf neuen Arbeitsplatz

In der Schlecker-Filiale in der Oranienstraße richten sich die Gedanken der Mitarbeiterinnen nun in die Zukunft. Hoffnung, einen Arbeitsplatz zu finden, haben sie immerhin. Birgit Godenschweger, 50 Jahre alt und wie ihre Kollegin Mohr schon seit zwölf Jahren bei Schlecker, hat der Arbeitsagentur schon am Montag einen Besuch abgestattet – obwohl sie ihre Kündigung noch gar nicht erhalten hat.

Die kommt vermutlich Anfang Juli. "Die wollten mir alles mögliche aufschwatzen" sagt sie. Godenschweger weiß aber schon selber, was sie will: ein Praktikum im Krankenhaus machen, gucken, ob ihr die Branche gefällt, um vielleicht umzusatteln.

Mohr will erst einmal abwarten. Man erzählt sich von anderen Kolleginnen, die schon etwas gefunden haben: Eine ist jetzt Filialleiterin in einem Ein-Euro-Laden. "Sie sagt, das sei o.k.", erzählt Godenschweger.

Ware des alten Arbeitgebers

Gut möglich, dass ihr dort Ware ihres früheren Arbeitgebers begegnen wird. Denn Aufkäufer holen sich aus den Lagern gern Ware, die keiner mehr haben will. Mehr als zehn Prozent des einstigen Ladenpreises müssen sie dafür meist nicht mehr bezahlen.

Es gilt die Devise: Hauptsache weg mit dem Zeug! Der Kaufpreis für die Verwerter ist dann so niedrig, dass sie sogar beim Weiterverkauf an einen Ein-Euro-Shop noch ein Geschäft machen können.

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Godenschweger und ihre Kolleginnen allerdings haben Angst, im Einzelhandel nur einen 400-Euro-Job zu bekommen. Von den rund 12.000 Schlecker-Beschäftigten, die bereits Anfang des Jahres entlassen worden waren, sind noch rund 8000 bei der Arbeitsagentur gemeldet, rund 3500 befinden sich in Beschäftigungs- oder Fortbildungsmaßnahmen.

Das sei jetzt keine außergewöhnlich gute Bilanz, aber auch keine besonders schlechte, heißt es bei der Arbeitsagentur. Zu erwarten ist, dass es insgesamt schwieriger wird, im Einzelhandel etwas zu finden, wenn jetzt auch die restlichen Kolleginnen dazu kommen.

Im Einzelhandel werden zwar Mitarbeiter gesucht, doch dass die Konkurrenz und die gesamte Branche alle ehemaligen Schlecker-Mitarbeiter übernehmen, ist nicht anzunehmen.

Von der Leyen für Umschulung

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte nach Bekanntwerden der endgültigen Pleite von Schlecker vorgeschlagen, die Schlecker-Beschäftigten sollten doch Erzieherinnen werden, da herrsche ja Fachkräftemangel.

Doch dieser pauschale Vorschlag kam zumindest in der Oranienstraße und vermutlich andernorts nicht gut an: "Ich werde doch nicht mit 56 anfangen, kleine Kinder zu hüten", sagt Astrid Mohr. Arbeit suchen wollten sie natürlich, aber bevormunden lassen wollten sie sich nicht.

Sie sind aber nicht nur wütend auf die Politiker, die sich ja auch geweigert haben, eine Transfergesellschaft zu finanzieren, sondern auch auf die Gewerkschaft Ver.di. "Die haben sich mit uns profiliert", sagt Godenschweger, "ständig sind wir zu Kundgebungen gerufen worden. Aber geholfen hat es uns nichts." Von Ver.di habe sie jetzt auch nichts mehr gehört.

"Ich trete aus", sagt sie. Die Gewerkschaft Ver.di dürfte noch einige Austrittserklärungen auf den Tisch bekommen – bisher seien es "unter 100", heißt es bei der Gewerkschaft, aber dabei wird es wohl nicht bleiben. Wer arbeitslos wird, spart meist jeden Pfennig, auch wenn er einen reduzierten Mitgliedsbeitrag zahlt.

Ver.di will Schadensbegrenzung

Bei Ver.di versucht man jetzt, Schadensbegrenzung zu betreiben. "Wir wollen weiterhin den Kontakt halten zu den Betriebsräten und den Ver.di-Mitgliedern bei Schlecker", heißt es.

Die Gewerkschaft wolle Anlaufstellen für ehemalige Schlecker-Mitarbeiter in den regionalen Büros aufbauen. Auch Arbeitslose könnten von der Ver.di-Mitgliedschaft profitieren: Etwa über eine Beratung bei der Arbeitssuche und Beistand gegenüber der Arbeitsagentur.

Klar ist jetzt, dass es Ver.di trotz der großen Mobilisierung nicht geschafft hat, finanzielle Unterstützung von politischer Seite zu bekommen: Eine Transfergesellschaft wird es auch für jene Mitarbeiter nicht geben, die in diesen Tagen auf die Straße gesetzt werden. Und aus dem Globalisierungsfonds der EU, den Ver.di für die Fortzahlung der Gehälter für einige Monate nutzen wollte, wird ebenfalls nichts kommen.

Nun konzentriert sich Ver.di, deren Vertreter ja auch im Gläubigerausschuss sitzen, darauf, für die Mitarbeiter noch Geld für Abfindungen aus der Insolvenzmasse zu bekommen. "Sie werden einen nennenswerten Beitrag bekommen", heißt es. Auf Länderebene versucht die Gewerkschaft, Unterstützung für dreijährige Ausbildungen für die Ex-Schlecker-Mitarbeiter zu erhalten.

Ab Donnerstag stehen Läden leer

Den meisten Vermietern geht es bei ihren Schlecker-Geschäften nicht viel besser als den Mitarbeitern – denn spätestens ab Donnerstag stehen ihre Läden leer. Sie können die ausfallende Miete allenfalls bis zum letzten Tag der Laufzeit des Mietvertrages beim Verwalter auf die Forderungs-Tabelle setzen lassen.

Da kommen angesichts der Vielzahl der Filialen dreistellige Millionenbeträge allein für die Vermieter zusammen. Allzu viel von ihren Forderungen werden die Gläubiger aber nicht zu sehen bekommen.

"Möglich ist, dass die Quote im einstelligen Prozentbereich liegt", sagt Specovius – über 90 Prozent der Forderungen wären also verloren. Auch die Gründer-Kinder Meike und Lars Schlecker spekulierten in ihrem "persönlichen Statement" vom Freitag über eine "vermutlich recht magere Quote" – nicht ohne zu erwähnen, dass auch sie durch die Pleite viel Geld verloren hätten.

Lieferanten und ihre Versicherer hoffen

Hoffnung machen sich die Gläubiger – neben Vermietern und Mitarbeitern vor allem die Lieferanten und ihre Versicherer – zum einen auf Geld aus dem Verkauf der Auslandsgesellschaften und zum anderen aus dem Privatbesitz von Anton Schlecker. Da er als "eingetragener Kaufmann" auch die Privatinsolvenz angemeldet hat, muss er sämtliche Wertgegenstände in die Masse einbringen.

Nach Angaben seiner Kinder hat er das auch getan: "Vom Sportwagen bis zur schönen Uhr hat er alles als Teil der Insolvenzmasse abgeben müssen", schreiben Meike und Lars Schlecker.

Allerdings scheint das Wohnhaus der Schleckers in Ehingen auf den Namen der Ehefrau zu laufen, die Porsches und die anderen Sportwagen gehören möglicherweise ebenfalls nicht Anton Schlecker.

In diesem Fall bekämen die Gläubiger davon gar nichts. Derzeit prüft der Verwalter die Eigentumsverhältnisse und kontrolliert alle Übertragungen der vergangenen Jahre. Sollte dabei etwas Verdächtiges auftauchen, könnten solche Transaktionen von der Firma zur Familie rückgängig gemacht werden. Dieses Geld käme dann in den Masse-Topf.

Aus der Verwertung dessen, was in Läden wie dem in der Oranienstraße in Kreuzberg in den Regalen übrig geblieben ist, wird wohl nicht mehr viel dazu kommen. Noch schwieriger als die Ware wird der Insolvenzverwalter die arg in die Jahre gekommene Ladeneinrichtung von Schlecker loswerden – jedenfalls die aus den unrenovierten Läden.

Bei Schlecker gibt es nicht einmal Schaufensterpuppen, die sonst gern für ein paar Euro übernommen werden. "Vielleicht ist von den neueren Einrichtungen noch etwas verwertbar", meint Specovius. "Aber das passt ja meist nicht zum Erscheinungsbild anderer Handelskonzerne."

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